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Ein Gedicht Über Lilith Das Böse im Roman

Editorial

Ein Rant in Facebook

Am liebsten lese ich Bücher, bei denen der authentische Hintergrund spürbar ist, das Selbsterlebte oder auch sehr gut recherchierte. Ich wünsche mir, dass die AutorInnen eine bestimmte Teilgruppe wirklich ehren, indem sie sie realistisch darstellen, wie fantastisch auch das ganze Set sein mag. Ich möchte spüren, dass sie sich wirklich für Menschen einer bestimmten Lebensart interessieren, anstatt ihnen aufzupressen, dass sie so sein sollen, wie es dem Wohlgefallen einer Autorin entspricht. Das bedeutet, andere Menschen zu respektieren und zu wertschätzen. Und dann sind sie noch viel interessanter, als man sich von vornherein vorstellen kann.
An die Autorinnen: Wollt ihr gute Darstellungen von Schwulen bzw. Sadomasochisten schaffen? Findet ihr es relevant, sie so darzustellen, dass sie selber sich darin auch wiederfinden? Wenn das gelungen ist, ist alles wunderbar. Und wenn nicht, sollte man es zu erreichen suchen und an die Quelle gehen.

Sonst errichtet man eine Jahrmarktsbude mit Freaks zum Bestaunen, Lachen und Gruseln. Tut das nicht. Ihr könnt es besser!

Baden im Mischmasch

Seit das Internet der Tummelplatz für Interessen geworden ist, die unter dem Four-Letter-Word BDSM zusammengefasst werden, findet sich der sexuell auf die härteren Praktiken orientierte Mensch in einem chaotischen Sammelbecken. Und schon zeichnet sich ab, was zu vermuten war, als die Gemeinschaft sich ausweitete: Es bilden sich neue Gruppierungen, die unter sich teils weit in ihren Interessen und Ausdrucksformen auseinanderliegen. Schon versuchen die Newcomer den alten Hasen zu erklären, wie es "richtig geht", was ja die wissen müssen, die auf dem neuesten Stand sind. Mir kommt das vor, als wolle jemand den Löffel neu erfinden. Denn bislang haben noch alle Bottoms einen Arsch, der aus zwei Backen besteht. Wie können die Erfahrungen, die vor 30 Jahren begonnen haben (meine sind etwas jünger), dann OUT sein?

Auf Verlangen drucken

Meine neueste Publikation ist eine alte, die ich aus einer ca. 10 Jahre alten Versenkung hole, und siehe da, sie ist erstaunlich frisch. Es ist die Novelle "Salix macht Beute", die zum ersten Mal in den SCHLAGZEILEN (Heft 98-101) publiziert war. Gestern habe ich sie ein weiteres Mal in Druck gegeben, dieses Mal als Novelle in einem Stück in einem kleinen Taschenbuch von 76 Seiten Umfang. Also wirklich nur ein Häppchen. Solche Druckwerke als "Druck auf Anforderung" sind leider relativ teuer -- verglichen mit Drucksachen, die man in Tausender-Auflagen produziert. Dafür gehe ich aber damit kein Risiko ein.

Historischer Rückblick auf 21 Jahre

Was seinerzeit der Charon Verlag geleistet hat, so wie viele andere Buchverlage, die auf Verdacht produzieren, das kann ein kleiner Verlag eigentlich nicht leisten. Die Konkurrenz ist durch das Internet mörderisch geworden. Zu einer Zeit, als niemand das Risiko eingehen wollte, Gedanken und Geschichten zu einem neuen Bewußtsein über eine sexuelle Spielart zu publizieren, trafen die mutigen Leute um Geli Maaß, Jan Peter Scheu und später auch Matthias T.J. Grimme ins Schwarze, und das kann man wörtlich nehmen. Sie versammelten die um sich, die sich in der schummrig beleuchteten Zone zwischen Verruchtheit des Käuflichen und dem Grauen verbrecherischer Sexualgewalt zu bewegen schienen -- schienen, sage ich, denn es war historisch notwendig, eine Grenze zu ziehen, eine Kultur zu definieren, eine Praxis zu etablieren dessen, was man unbeschadet ausleben konnte. Sie trafen den mutigen Entschluß, mit ihrem Klarnamen für die Überzeugung einzustehen, daß Sadomasochismus -- und im Kern ging es darum -- auf gesetzlich korrekte, gesundheitlich unschädliche, menschlich beglückende und sexuell befriedigende Weise gelebt werden kann. Die SCHLAGZEILEN haben somit den Verdienst, in aufklärerischer Weise auf eine sexuelle und zwischenmenschliche Umgangsweise hingearbeitet zu haben, die damit dem Ruf des Verbrecherischen -- per se -- entkommen ist und die steigende Toleranz genießt -- bis hin zum Achselzucken: "Jedem Tierchen sein Pläsierchen". Ja, auch PetPlay ist inzwischen unter diesem Schirm ins Trockene gebracht worden, das Agieren von Menschen in Tierrollen, wo schon der Randbereich des Schamanismus berührt ist. Und diese Randbereiche -- zum Religiösen, zu Ekstase-Praktiken wie dem Sonnentanz, zur Fesselkunst der Japaner, Körper-Modifikation, Verträge über Leibeigenschaft -- haben sich zu einer Palette vieler Schattierungen ausgebreitet, die, ähnlich wie die Bewegung der Schwulen und Lesben, einer ungezählten Menge von Menschen einen Platz für spezielle Sexualität, Partnerschaften, Selbsterfahrung, Fremderfahrung und Befreiung von Schuldgefühlen geschaffen hat.

Was es bis heute bewirkt

Alles, was sich heute so ungeniert im Internet tummeln kann, tut das -- vielfach ohne es zu wissen -- auf einer Bewußtseinsgrundlage, die von aufklärerischen Publikationen der Siebziger bis Neunziger geschaffen wurde. Den Anfang machten Untergrundbewegungen der USA, wesentlich von Schwulen und Lesben getragen oder mindestens flankiert; das Team der SCHLAGZEILEN war eines der ersten, die sich mit aufklärerischem Gedankengut zum Thema "Sadomasochismus" an die Öffentlichkeit wandten, dazu wäre noch die SMÖff (SM und Öffentlichkeit) zu nennen, die die Presse beobachtete; Datenschlag mit ersten systematischen Zusammenfassungen der Fakten; es gab nun Stammtische, es gab eine Selbsthilfegruppe, ausgehend vom SCHLAGWERK, die im KISS tagte und die keineswegs die Absicht hatte, ihrer Devianz abzuhelfen.

Ich hatte das Glück, mit reifen 47 Jahren im Jahr 1996 auf die Aktivitäten im Umkreis des Verlages aufmerksam gemacht zu werden. Ich trat mit einem mir völlig fremden Mut auf Matthias Grimme zu und stellte mich in der Redaktion vor; das resultierte in einer Publikation, einer längeren Geschichte in den Bösen Geschichten (alas, no more), dem "Sklavenhalterpatent", die ich, rotzfrech, mit ebensoviel Leidenschaft wie Mangel an Erfahrung geschrieben hatte. In Tateinheit damit lancierte ich eine Kontaktanzeige, die zur Bekanntschaft mit meinem bis heute mit mir lebenden und mit mir verheirateten, wenn auch inzwischen auswärtig spielenden Partner führte.
Spät, aber nicht zu spät erfuhr ich, wie sich das nennt, was ich ersehnte, und daß es nicht schlimm ist. Ich glaube, zahllose andere haben wie ich eine solche Erkenntnis durch die Arbeit des Magazins und der Bücher aus dem Charon Verlag gewonnen und vielleicht sogar ihrem Leben damit eine andere Richtung gegeben. Danke, daß es euch gibt!